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 Wennn über die Aufhebung des Beisetzungszwanges für Totenasche diskutiert wird, so werden nicht nur die immer gleichen Argumente von beiden Seiten vorgetragen, die Argumente sind auch häufig emotional sehr aufgeladen und werden wenig kompromissbereit in den Raum gestellt.
Außer zu aufgeregten Wortgefechten führen diese Diskussionen leider zu keinem Fortkommen in der Sache, denn bis alle - auch noch so theoretischen - Aspekte beleuchtet sind, hört keiner mehr dem Anderen zu.

Daher haben wir uns bemüht, alle uns bisher bekannten Argumente einmal aufzulisten, damit jeder, der sich mit der Thematik befassen möchte, seine Zeit nicht mit dem mühsamen Nachdenken über alle Eventualitäten des Pro oder Contra der "Urne zu Hause" verbringen muss. So bleibt genug Zeit bestehen,  -ggf. gemeinsam - nach neuen Lösungen, Kompromissen und Konzepten zu suchen.

... und sollten wir doch einen Aspekt vergessen haben aufzuführen, so freuen wir uns über eine Nachricht oder einen Eintrag im Weblog.

Natürlich haben auch schon viele andere kluge Köpfe darüber diskutiert, daher hier einige Dokukmente dazu:

Anhörung im Landtag Sachsen-Anhalt zur Änderung des Bestattungsgesetzes am 26.6.2013 (pdf)

Ausschussprotokoll APr 16/281 des Landtages Nordrhein-Westfalen zur Änderung des Bestattungsgesetzes vom 26.6.2013 (pdf) (zum Thema Aufhebung des Bestattungszwanges ab Seite 33. Interessant auch wegen einer Einblicke und Hintergrundsinformationen durch die Sachverständigen)

Aus dem Niedersächsischen Landtag soll es ein mehrere 100 Seiten dickes Anhörungsprotokoll geben, dass aber leider nicht öffentlich ist. Schade.

 

Contra

Gegen eine Gesetzesänderung zur (geregelten) freien Verfügbarkeit von Urnen bzw. Totenasche spricht:

  • Die Fortsetzung der bisherigen kulturellen Tradition.
  • Bisher wurde keine Veränderung der Bestattungskultur durch eine  Volksmehrheit gefordert.
  • Das Thema interessiert ohnhin nur wenige Menschen. Es muss nicht jeder Minderheitenwunsch berücksichtigt werden.
  • Die bisherigen Beisetzungsregelungen setzen keine umfangreiche, eigene, individuelle Auseinandersetzung mit dem Tod, der Bestattung und dem Trauerort voraus. Bestatter helfen / begleiten / lenken den Prozess. Alles (z.T. bis hin zur Grabgestaltung) ist weitgehend geregelt / vorgegeben und ein „sich fügen in die Tradition“ kann eine Erleichterung für die Angehörigen sein, aber auch für den Verstorbenen, wenn er sich im Vorfeld keine Gedanken um „sein Sein nach dem Tode“ machen muss.
  • Der Mensch sei ein soziales Wesen und daher sei auch das Verfügen über seinen toten Körper nicht nur an seinen individuellen Wünschen  auszurichten, sondern auch den übergeordneten Interessen der Gemeinschaft (Werte, Trauer, Kultur, ...)
  • Die individuelle Umsetzung der Wünsche des Verstorbenen oder der Hinterbliebenen (im Rahmen der Gesetzesvorgaben und Friedhofsordnung) ist kaum möglich und daher für Menschen (und deren Hinterbliebenen) geeignet, denen eine Individualität über den Tod hinaus nicht wichtig ist.
  • Friedhöfe (in kommunaler oder kirchlicher Hand) und andere Beisetzungsorte arbeiten weitgehend wirtschaftlich tragfähig, wenn auch nicht unbedingt kostengünstig. Die Urnenfreigabe (und damit der Rückgang der „Kunden“) würde finanzielle Einbußen nach sich ziehen und damit ggf. für Preiserhöhungen bei den „normalen“ Friedhofsnutzern sorgen.
  • Friedhöfe sollten als historische und ökologische Orte, sowie z.T. als Naherholungsgebiete erhalten bleiben und /oder daher gemeinschaftlich von allen Bürgern (durch die Friedhofsgebühren) finanziert werden.
  • Die Urnenfreigabe könnte einen Umsatzrückgang bei Bestattern, Steinmetzen, Friedhofsgärtnereien etc. nach sich ziehen. (Anm.: Wenn auch wohl nur in geringem Maße, da vorerst nur wenige Menschen diese neue Bestattungsform wählen werden. (In Bremen wurden 2016 nur 35 Fälle genehmigt.)
  • Kirchen verlieren einen konkreten Anlass, oder die dauerhafte Möglichkeit, Trauernde zu begleiten, wenn der Trauerprozess ins Private verlagert wird.
  • Für die Angehörigen fehlt bei der Urnenfreigabe ggf. ein fester, staatlich geschützter Ort zum Trauern und Abschiednehmen.
  • Die Asche könnte an Orten verstreut werden, die Mitmenschen als ungeeignet empfinden.
  • Eine Störung von Mitmenschen durch ungewollten, direkten Asche-Kontakt beim oder nach dem verstreuen wäre möglich.
  • Mitmenschen könnten sich durch die bloße räumliche Nähe zur Urne/Asche von Verstorbenen (z.B. Nachbargarten, Nebenwohnung, Käufer eines Hauses mit Asche im Garten) gestört fühlen.
  • Diebstahl, Verlust, Zerstörung der Urne wäre (wenn wohl auch äußerst selten) möglich.
  • Nach bisheriger Rechtsauffassung liegt bei der Aufbewahrung der Urne (oder Asche)  daheim, bzw. außerhalb einer offiziellen Grabstätte eine Störung der Totenruhe, die Störung des allgemeinen sittlichen Empfindens und die Beeinträchtigung der Würde der Menschen (?) vor.
  • Einzelne Familienmitgliedern können gegen den Willen der anderen Hinterbliebenen exklusiv über die Urne /Asche verfügen und damit Unfrieden erzeugen
  • Familienmitglieder oder Personen können vom Zugang zur Urne /Asche ausgeschlossen werden, da die Urne nicht auf frei zugänglichem Gelände aufbewahrt werden kann (z.B. zuhause). (Stichwort: Gibt es ein Recht auf einen allgemein zugänglichen Trauerort für alle Hinterbliebenen?)
  • Der bewusste Entzug eines konkreten Trauerortes (Grabstätte) durch den Verstorbenen gegenüber den Angehörigen wäre möglich, sofern der Verstorbene das zu Lebzeiten verfügt hat. (Ist aber heute auch schon z.B. durch eine Seebestattung oder eine anonyme Beisetzung möglich.)
  • Durch die mangelnde räumliche Distanz zum Verstorbenen (in Form von Urne/Asche zu Hause) kann für die Hinterbliebenen kein bzw. nur ein erschwerter Abschied möglich sein (z.B. wenn die Urne stets im Lebensumfeld der Hinterbliebenen sichtbar ist.)
  • Die unwürdige Entsorgung der Asche nach Jahren ist nur schwerlich 100%ig auszuschließen. (Anm.: Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen aber, dass das eher eine theoretische, denn eine reale Gefahr ist.)
  • Asche/Urne gerät in Vergessenheit (… und Ururenkel „entsorgen“ die Urne/Asche einfach) (Anm: Wo ist der Unterschied zum Auflösen einer Grabstätte mit dem Bagger nach 15 Jahren?)

 Pro

Für eine Gesetzesänderung zur (geregelten) freien Verfügbarkeit von Urnen bzw. Totenasche spricht:

  •  Gegner der Aschefreigabe sollten bei jeder ihrer Einwendungen prüfen, ob sie damit nicht auch die legale und anerkannte Form der Seebestattung in Frage stellen, bzw. umgekehrt. (Anm.: Was unterscheidet die (legale und auch kirchlich anerkannte) Seebestattung (mit Ascheverstreuung) von einer (illegalen) Fluß, oder Waldbestattung mit Ascheverstreuung?)
  • Jeder Mensch sollte auch über seinen Tod hinaus das Recht auf selbstbestimmten Umgang mit seiner Asche haben, sofern dadurch nicht Rechte Dritter nachhaltig betroffen sind. (Stichwort: Die Menschenwürde gilt auch über den Tod hinaus!)
  • Die eigene Gestaltung / Wahl des Trauerortes / Ort der Aschefreigabe durch den Verstorbenen oder die Hinterbliebenen wird möglich (Stichwort: Individualisierung in Leben und Tod).
  • Der Umsetzung des Wunsches des Verstorbenen z.B. nach dem Tod nur noch in den Gedanken der Hinterbliebenen und ohne fixen Ort zu existieren, kann entsprochen werden (Stichwort: Ich will Euch posthum keine Mühe machen).
  • Die posthume Loslösung von Religion, Tradition und staatlicher Einflussnahme wird möglich.
  • Grundvoraussetzung sollte sein: der Verstorbene hat zu Lebzeiten schriftlich die Freigabe seiner Urne oder Asche und/oder den Umgang damit verfügt.
  • Ggf. regelungsbedürftig: Sicherstellung des Umgangs mit der Asche gemäß der Vorgaben des Verstorbenen und des dauerhaft würdigen Umgangs mit der Asche.
  • Der bisherige (juristisch-gesetzlichen) Definitionsumfang der Totenruhe, Würde etc. (Asche und körperliche Bestandteile incl.  Prothesen  = Leichnam = Mensch = unterliegen bisher gesetzlicher Verfügungseinschränkung) müßte neu gefaßt werden.
  • Nach Ende der Friedhofs-Liegedauer (15-25 Jahre) werden Gräber neu belegt und die zuvor beschworene Totenruhe und Würde des Menschen endet schlagartig. Bei einer Ascheverstreuung (an einsamen Orten) wäre die Totenruhe ggf. „ewig“.
  • Totenasche ist hygienisch unbedenklich und kann daher theoretisch „überall“ verstreut / eingebracht werden
  • Die Berücksichtigung der veränderten Bevölkerungsstruktur in Hinblick auf Religion, Tradition, räumliche Mobilität und Familienstrukturen sollte auch in den Bestattungsformen Eingang finden.
  • Auch wenn zur Zeit in Deutschland noch wenige Menschen für sich die Verstreuung der Asche, oder die Aufbewahrung der Urne zu Hause, oder die Beisetzung der Urne im heimischen Garten als Option wahrnehmen wollen, so zeigen die Erfahrungen aus anderen Ländern, dass diese Zahl auch leicht über 5% der Bevölkerung steigen kann. In den USA (den Staaten Washington und Californien) befinden sich laut einer Befragung in jedem 5. Haushalt mindestens eine Urne. Davon werden nach einiger Zeit jeweils ein Drittel der Urnen bestattet, die Asche verstreut oder die Urne weiter aufgehoben. 
  • Die Beachtung einer zunehmenden Liberalisierung der Gesellschaft und Rücksichtnahme auf Minderheiten findet auch in anderen Bereich gesetzlichen Eingang (z.B. Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen, …)
  • Durch eine gesetzliche Neuregelung könnte die zunehmende Gesetzesumgehung via Ausland (Stichwort: Urnen-Tourismus) beendet werden.
  • Das auch praktizierte heimliche Ausbuddeln von Urnen aus Gräbern wäre nicht mehr erforderlich.
  • Aufteilen der Asche wäre möglich, um sie, wenn gewünscht, an verschiedene Orte zu verbringen.
  • keine erzwungene 15- bis 25jährige Bindung an einen Ort der Trauer für die Hinterbliebenen.
  • Die Freigabe erleichtert die räumlich Mobilität des Trauerortes z.B. bei Umzug der Hinterbliebenen (Urnenumbettung bei Friedhöfen sehr schwierig (Stichwort: Störung der Totenruhe), im Gegensatz zu einer Urne im privaten Zugriff, insbesondere dann, wenn der Tote selbst in einer „mobilen Urne“ keine Störung seiner Totenruhe sieht.))
  • Die (kirchliche) Trauerfeier und Beisetzung (Aschefreigabefeier) sind genauso möglich, wie bei der bisherigen Gesetzeslage, lediglich der Trauerort weicht von der jetzigen Festlegung (Friedhof, etc.) ab.
  • Die Dauer des Prozesses des Abschiednehmens kann mit der Urne zu Hause durch die Hinterbliebenen individuell gestaltet werden. Manche Menschen benötigen länger für den Prozess der Loslösung und können so ein individuelles Maß an Nähe/Distanz finden. (Anm.: Es wäre sogar vorstellbar, dass Seelsorger eine neue Aufgabe und Zugang zu den Angehörigen finden, wenn sie ihre Dienste an den „neuen Trauerorten“ anbieten.)
  • Die jederzeitige, reguläre Beisetzung einer „freigegebenen Urne“ auf einem Friedhof ist nachträglich (auch heute schon) möglich. Damit ist letztlich immer der derzeitige Status Quo wieder erreichbar und Hinterbliebene können, sofern sie feststellen, dass sie doch den traditionellen Weg beschreiten wollen, die Urne (und falls die Asche schon verstreut ist, eine mit vergänglichen Erinnerungsstücken gefüllte Urne) beisetzen lassen.
  • Unerwünschte Personen können vom Zugang zur Urne /Asche ausgeschlossen werden, da die Urne nicht auf frei zugänglichem Gelände aufbewahrt werden kann. (Anm.: Hier wird es sicher Diskussionen geben, da der Verstorbene in der Urne z.B. im Wohnzimmer seiner zweiten Ehefrau ggf. nicht von der Exfrau besucht werden kann. Genauso kann der Autofahrer dann nicht am Grab des von ihm überfahrenen Kindes um Vergebung bitten, … Aber wer die Freigabe der Urne zu Lebzeiten verfügt hat, sollte sich über solche Folgen auch Gedanken machen. Vielleicht wird dieser Weg aber auch genau wegen dieser „Ausschlüsse“ gewählt ?)
  • Die Urnenfreigabe wäre eine langfristige Kostenersparnis für die Hinterbliebenen, die ggf. auch der Verstorbene für seine Angehörigen genau so erreichen möchte. (Ein „kostengünstiges“ anonymes Wiesengrab oder die in einem Bundesland zulässige Ascheverstreuung auf einer Friedhofswiese entsprechen ja eigentlich schon der Urnenfreigabe, nur halt in (zeitlich) reglementiertem, kostenpflichtigen Rahmen.)
  • einmalige Kosten können niedrig gehalten werden (nur Leichenschau, Überführung, Verbrennungssarg, Einäscherung)
  • Entlastung der Angehörigen von der Arbeit der Grabpflege

 

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